Literatur

„Heimat schaffen“

Bei dem Projekt „Heimat schaffen“ der VGH Stiftung und der Büchereizentrale Niedersachsen sollen die kürzlich geschaffenen Willkommensbereiche in Bibliotheken mit Leben gefüllt werden. Drei interkulturelle Veranstaltungsformate bringen Geflüchtete und Ortsansässige miteinander in den Austausch, auf unterschiedliche Art und Weise. Mit zehn Teilprojekten ging „Heimat schaffen“ an den Start. Wir schauen in Büchereien in Sarstedt und Tarmstedt vorbei, lauschen Lesementorinnen und -mentoren und ihren „Patenkindern“ und blicken in ein bewegendes Schreibprojekt.

2022 hatte die VGH Stiftung unter dem Eindruck des Ukraine-Krieg das Förderprojekt „Räume schaffen“ aufgesetzt, 2023 wurde das Folgeprojekt „Heimat schaffen“ initiiert.
„Wir wollten, dass das Projekt im gesellschaftlichen Sinne nachhaltig ist. Der Ukraine-Krieg hält noch immer an, auch aus anderen Ländern gibt es Fluchtbewegungen, mit jedem neu ausbrechenden Konflikt umso mehr. Mit ‚Heimat schaffen‘ haben wir gemeinsam mit der Büchereizentrale Niedersachsen ein weiteres wirkungsvolles Instrument entwickelt, um die Bibliotheken als Orte der Begegnung zu stärken“, beschreibt Dr. Johannes Janssen, Stiftungsdirektor der VGH Stiftung, die Zielsetzungen der Förderin.

So entstanden in diesem Zusammenhang drei interkulturelle Veranstaltungsformate, für die sich interessierte Bibliotheken um eine Förderung bewerben konnten.

Lesementoring – gemeinsames Lesen mit Kindern aus anderen Ländern
In Sarstedt konnte dank der Förderung durch „Heimat schaffen“ das Projekt Lesementoring ausgebaut werden. Wichtiger Kooperationspartner für die Stadtbücherei Sarstedt ist dabei das Familienzentrum unter der Leitung von Sandra Wilkening. Für viele Geflüchtete und andere Menschen mit Migrationshintergrund ist das Familienzentrum eine zentrale Anlaufstelle, auch für viele Kinder, die regelmäßig nach der Schule hierherkommen. „Das Programm ist ein wahres Geschenk für uns“, sagt Wilkening. „Es ist geradezu magisch zu sehen, wie auf der Ebene von Büchern eine Verbundenheit entsteht.“
Vierzehn Kinder nehmen zurzeit am Lesementoring-Programm teil, die meisten stammen aus Syrien. Gemeinsam mit ihren Lesepaten treffen sie sich jeden Freitag in der Mittagszeit, wählen Bücher aus und lesen. Regelmäßig besucht Sandra Wilkening mit der Lesegruppe die Bibliothek, zum Beispiel zum beliebten Bilderbuchkino in unterschiedlichen Sprachen.
Für die Lesetreffen stellt Elke Rebiger-Burkhardt, Leiterin der Stadtbücherei Sarstedt, Bücherkisten zusammen, passend für bestimmte Themen, Altersstufen und Wissensstände. Sie freut sich über die gelungene Zusammenarbeit: „Wir sind ganz angetan davon, wie gut das Leseprogramm angelaufen ist! Und es ist toll zu beobachten, welche Fortschritte die Kinder machen und mit viel Spaß alle bei der Sache sind: Kinder und Lesepaten.“
Die Zahl interessierter Kinder und erwachsener Lesementor*innen wächst zusehends; nach den Sommerferien soll das Projekt in die nächste Phase gehen.

So schmeckt mein Heimatort – ein Kochbuch entsteht
Elke Rebiger-Burkhardt war so begeistert von der Ausschreibung zum Projekt „Heimat schaffen“, dass sie sich mit der Stadtbücherei Sarstedt gleich für ein zweites interkulturelles Veranstaltungsformat beworben hat – und durch die VGH Stiftung die Bewilligung erhielt. „Wir haben dazu aufgerufen, uns Rezepte einzusenden, die unsere Nutzerinnen und Nutzer ganz besonders mit ihrer Heimat verbinden. Da ist dann so etwas wie eine Friesentorte dabei, aber auch Deruny oder Dranikі (Kartoffelpuffer) aus der Melitopol-Region oder Shakshuka aus der Region Mykolajiw in der Ukraine. Wir haben jetzt schon 35 Koch- und Backrezepte erhalten, daraus soll demnächst ein Kochbuch entstehen. Das werden wir dann bei einem gemeinsamen Sommerfest in unserem schönen Lesegarten vorstellen“, berichtet die Bibliotheksleiterin.

Heimat – ein Kommen und Gehen: Erzählwerkstatt zum Thema „Heimat“
Auch die Schul- und Samtgemeindebücherei Tarmstedt war bereits an dem Projekt „Räume schaffen“ beteiligt. „Das Folgeprojekt ‚Heimat schaffen‘ ist eine Bereicherung für uns“, sagt Bibliotheksleiterin Anne Holsten. Gemeinsam mit dem Fachbereich Deutsch der KGS Tarmstedt hat die Bibliothek zu Beginn des Jahres Schülerinnen und Schüler zu einem Schreibwettbewerb unter dem Titel „Hier und woanders: Geschichten vom Aufbruch und Ankommen, vom Suchen und Finden“ aufgerufen. Mehr als zwanzig Kinder haben sich angemeldet, aus allen Jahrgangsstufen von Klasse 5 – 10, aus Deutschland, der Ukraine und weiteren Ländern. Zur Vorbereitung nahmen alle an einem Schreibworkshop teil, der von der Schreibpädagogin Sabine Schildgen angeleitet wurden. Darüber hinaus trafen sich viele der Schüler*innen einmal pro Woche zur Schreibmittagspause. „Es war unglaublich, mit wieviel Begeisterung die Kinder geschrieben und immer wieder Textabschnitte vorgelesen haben – und mit wieviel Respekt die Kinder mit den Texten der anderen umgegangen sind. Es entstand ein wirklich sehr schönes Gemeinschaftsgefühl“, sagt Sabine Schildgen. Zwanzig der entstandenen Beiträge wurden für den Schreibwettbewerb eingereicht.
Auch Erwachsene – insbesondere Geflüchtete aus Syrien – hat die Bücherei mit dem Projekt angesprochen, u.a. über den ortsansässigen „Freundeskreis Asyl“.
Bei der Preisverleihung am 10. Juni wurden die Siegerbeiträge der Kinder vorgetragen und prämiert, die der Erwachsenen blieben ohne Wertung. „Die Texte der Geflüchteten waren meist kurz, mit einfachen Sätzen, aber sie haben mich ganz besonders berührt“, sagt Anne Holsten.
Eine Fortsetzung der Schreibmittagspause ist in Planung.

Stiftungsdirektor Johannes Janssen freut sich über den positiven Verlauf: „Im interkulturellen Austausch wird nicht nur einseitig Wissen vermittelt, vielmehr erfahren alle Beteiligten Neues voneinander. Im besten Fall hilft das, Vorurteile abzubauen und offener aufeinander zuzugehen. Mit dem Programm wollen wir auch den Begriff ‚Heimat‘ positiv für uns besetzen und hoffen zudem, dass aus den Projekten langanhaltende Kooperationen entstehen“.